Risen 3: Titan Lords – Test: Andauernde Berg- und Talfahrt

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Wenn man den Test von Risen 3: Titan Lords beginnt und versucht zu erklären, was Entwickler Piranha Bytes da genau gebastelt hat, dann sollte man vielleicht so anfangen: Die Ladenversion kommt einerseits ohne Online-Aktivierung, Account-Bindung oder sonst etwas aus und benötigt zwingend die DVD im Laufwerk – das ist so oldschool, dass man beinahe den Flachbildschirm aus dem Fenster feuert. Andererseits sind gleich zwei Inseln gesperrt, falls man nicht die “Day One”-Edition hat – da haben wir den Vorbesteller-Bonus-DLC der heutigen Zeit. Und auch sonst springt das Rollenspiel der Gothic-Erfinder munter zwischen Moderne und Steinzeit sowie Peinlichkeit und Genialität hin und her.

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Der Einstieg: Zum Sterben
Zum Start fängt der Titel des kleinen und gerade einmal 25 Mann starken Essener Studios übrigens ganz unten an – wären wir fies, dann würden wir von einem Einstieg aus der Spielehölle schreiben. Der brandneue namenlose Held hat erstmal einen Alptraum, in dem ihn ein Geisterpiratenkapitän auf hoher See überfällt – und hier fährt das neue Risen alles auf, was man an Computerspielen hassen kann: Das Bild friert alle drei Schritte ein, damit uns eine fette Einblendung die Steuerung näherbringt. Andauernd gibt es Kamerafahrten, die dummerweise Mimik und Animationen aus der Ursteinzeit in voller Größe präsentieren. Auch die Insel, die wir mit unserer Schwester Patty kurz darauf besuchen, um einen legendären Schatz in einem Tempel zu heben, ist nicht direkt viel besser: Die Gegend ist linear, ein paar Feinde werden umgekloppt und dann heben wir auch schon den Schatz, um von einem – natürlich ganz bösen und pünktlich auftauchenden – Titan Lord umgebracht und von der trauernden Schwester begraben zu werden. Okay. Danke für den Kaufpreis – das dürfte es gewesen sein.

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Die Welt: Offen gleich besser
Das stimmt natürlich nicht: Wir werden drei Wochen nach unserem verfrühten Tod vom Schamanenpiraten Bones wiederbelebt, der sich mit uns und seiner Schaluppe einschifft. Da wir aktuell keine Seele haben, haben wir ein Problem – am Ende werden wir zu einem Diener der Unterwelt werden, wenn wir nicht bald etwas unternehmen. Daran denkt der namenlose Held allerdings nicht direkt und macht sich fröhlich von Insel zu Insel auf. Und das ist genau das, was das Spiel nicht nur rettet, sondern auch noch zu einem wirklich guten Titel macht: Uns steht quasi die gesamte Welt offen und die liebevoll von Hand gebauten Inseln strotzen nur so vor Details und Missionen. Quasi überall bewirft uns das Spiel mit Aufgaben, kleineren Entscheidungen und erzeugt den üblichen Flow der “Piranha Bytes”- Titel: Man will irgendwo hin; die Wache lässt einen aber erst rein, wenn man eine Aufgabe erledigt hat. Also rennt man los, muss auf dem Weg eine Nebenaufgabe erledigen, ein paar Gegner verprügeln, noch eine Folgeaufgabe machen, mal kurz auf eine andere Insel segeln, wem aufs Maul geben, in eine Höhle reinschauen, einen Schatz heben, einem Jäger helfen und kommt so erst drei Stunden später wieder am Ausgangspunkt an. Der Satz “Nur noch eine Mission” ist gleichbedeutend mit “Du schaust auf die Uhr und stellst fest, dass es vier Uhr Morgens ist.” Und dass ist auch gut so.

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Altbekanntes Konzept: Geschnetzelt und gezaubert
Spielerisch fühlen Fans des Vorgängers sich gleich heimisch: Man schleppt sein Schwert durch die Gegend, verprügelt Gegner und bekommt für quasi alles Erfahrungspunkte – die Ruhm heißen – hinterhergeworfen. Haben wir genug Ruhm, können wir uns im Schwertkampf, Magie, Geschicklichkeit und Co. verbessern. Eine Anleihe aus den alten Gothic-Tagen: Um neue Skills zu lernen, müssen wir Trainer aufsuchen, die benötigten Charakterwerte haben und nicht zu knapp Gold hinlegen. Das ist wie gewohnt passend und fügt sich logisch in die raue Welt ein; für unseren Geschmack haben wir zum Start als Piratenkapitän dann aber doch zu wenig auf dem Kasten. Nicht einmal selber kontern können wir – und wer kein Gold bei den richtigen Trainern investiert, wird das Kampfsystem darum auch verfluchen und verdammen, dass selbst den härteren und an Flüche gewohnten Gestalten aus der rauen Welt Angst und Bange wird. Damit wir nicht zu sehr fluchen, haben wir übrigens von Beginn an an die Möglichkeit, einen Mitstreiter mitzunehmen – der redet mal mit uns, quatscht über die verschiedensten Dinge und kämpft ordentlich an unserer Seite.

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Die Fraktionen: Eine Entscheidung
Auf den verschiedenen Inseln sitzen übrigens drei Fraktionen: Die Dämonenjäger, die Magier und die Eingeborenen bieten uns Missionen an und hoffen vermutlich, dass wir ihnen beitreten. Warum wir das machen sollen? Um ein besseres Schiff und neue Missionen zu bekommen. Außerdem bekommen wir je Fraktion andere Ausrüstung, Missionen und Fähigkeiten – bei den Magiern zaubern wir, bei den Dämonenjägern teleportieren wir uns durch die Gegend und bei den Eingeborenen lernen wir Voodoo-Zauber. Innerhalb der Fraktion steigt man dazu nach und nach im Rang auf, sobald man die Missionen erledigt. Kurz: Die für Spiele von Piranha Bytes typische Fraktionswahl sorgt für  den typischen Wiederspielwert. Auch an anderen Stellen dürfen wir immer wieder Entscheidungen treffen – die halten sich allerdings sehr in Grenzen und sind in keinster Weise mit The Witcher, Dragon Age oder Mass Effect vergleichbar. Das Seelensystem – für böse Antworten verlieren wir nach und nach unsere Seele, was am Ende böse endet – wird etwa ganz wertlos, da wir uns flott Seelenpunkte zurückkaufen können. Wirklich großen Wert legt man aber sowieso nicht auf solche Freiheiten – es geht um die Erforschung der Welt, die Atmosphäre, die Glaubwürdigkeit der Welt und schön verzahnte Aufgabenketten. Und der Wiederspielwert stimmt ebenso wie die reine Menge an Gebieten.

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Die Welt: Alt und neu
Wer sich übrigens gewundert hat, was die bereits aus den zwei Vorgängern bekannte Patty und  die aus dem Vorgänger bekannten Eingeborenen im Spiel machen, darf sich noch auf viele weitere Wiedersehen freuen: Das Piratenhauptquartier Antigua ist beispielsweise ebenso im Spiel enthalten wie eine weitere ganze Insel. Wem die südseemäßigen Settings des direkten Vorgängers überhaupt nicht gefallen haben, der muss auf gleich drei Inseln ganz fest die Zähne zusammenbeißen – und über die Praxis, gleich ganze Inseln nur minimal angepasst im Nachfolger weiter zu verwenden, wollen wir nur deshalb nichts sagen, weil die anderen Regionen wirklich groß geraten sind und so voller Leben, Liebe und Details stecken. Es ist eben ein typisches Spiel von Piranha Bytes: Menschen gehen ihrem Tagewerk nach; hinter jeder Ecke kann man Details entdecken und wer aufmerksam zuhört, erfährt vielleicht etwas zum geheimen Goldschatz des Schmiedes, den man natürlich ausrauben kann. Falls wir bemerkt werden, dann will uns der Besitzer natürlich – serientypisch – aufs Maul hauen. Und so läuft man durch die Welt, wird immer wieder überrascht, erforscht die Umgegend und findet immer wieder neue Dinge.

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Die Geschichte: Seemannsgarn ahoy
Auch an anderer Stelle muss sich Risen 3 nicht verstecken: Die ganze Welt steckt voller Geschichten. Gnome sind beispielsweise diebisch, die Eingeborenen haben sogar eine eigene Sprache und Inquisition, Magier, Dämonenwächter und Piraten mögen sich durch die Bank nicht so wirklich. Das würde zwar theoretisch für spannende Entscheidungen herhalten – am Ende vereint man aber ohne jede Chance zum Versagen und ziemlich unspektakulär alle Truppen zum Kampf gegen die bösen Titanen und sonstiges Gelichter, dass die Welt bedroht. Das ist weder sonderlich dramatisch noch besonders aufregend – das Stichwort “verschenktes Potential” haben wir beispielsweise über den halben Schreibtisch gekritzelt. Warum sind die Charaktere so eindimensional? Warum gibt es keine harten Entscheidungen? Und warum – zur Hölle und allen darin herumflatternden Papagien nochmal, die sonst auf unserem Schiff herumsitzen dürfen! – gibt es zwar gleich mehrere Seeschlachten inklusive Steuerung unseres Schiffes, bei denen wir aber nur gegen ein doofes Seemonster antreten? Warum dürfen wir keine Handelsschiffe überfallen, eine Stadt plündern oder sonst etwas tun? Wieso? Darauf gibt uns Risen 3 keine Antwort.

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Und Mehr – Mehr ist Mehr
Ansonsten stimmt die Masse an Aktivitäten aber: Es gibt Minispiele wie Messerwerfen und Trinkspiele; wir können tonnenweise Monster verprügeln und die Welt steckt voller Auftraggeber, denen man meist irgend etwas bringen oder für die man irgendwen verprügeln muss. Besonders angetan haben es uns die Missionen, in denen wir als Voodoo-Pirat spielen und folglich andere Charaktere mit Voodoo-Magie kontrollieren dürfen. Natürlich haben unsere Mitstreiter auch ihre besonderen Missionen und Geschichten – das kommt zwar nicht an Mass Effect oder Dragon Age heran, ist aber trotzdem gelungen. Kurz: Die ganz große Kreativität herrscht bei den Aufgaben zwar nicht – mit X Berufen, Skills, Minispielen, Diebstählen, Collectibles (die uns dauerhafte Boni bringen) und tonnenweise Missionen wird es uns nicht so schnell langweilig. Allerdings fragen wir uns, wie zur Hölle jemand andauernd sein Zeug in Höhlen voller fiesem Getier versteckt und ungehindert davonkommen kann, nur um jetzt um Hilfe zu schreien. Sei es drum: In Risen 3 darf man locker 50 Stunden eine wunderschön gestaltete Welt erkunden.

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Die Technik: So schön und so hässlich
Technisch schwankt Risen 3: Titan Lords zwischen großartig und furchtbar. Die detailverliebte Optik mit abwechslungsreichen Inseln, liebevoll gestalteten Dörfern und von Hand gebauten Umgebungen überzeugt nicht nur durch die Liebe zum Detail, sondern weiß auch optisch zu überzeugen. Das gilt auch für die atmosphärische Musik. Mit einem idyllischen Sonnenuntergang oder einem düsteren Panorama ist das Ergebnis definitiv überzeugend. An anderer Stelle wollen wir die Entwickler allerdings mit dem größten Schwert der Welt hauen: Die Animationen sind steif, Gesichtsanimationen hat Piranha Bytes noch nie hinbekommen und von flüssigen Bewegungen aktueller Action-Titel gibt es hier auch nichts zu sehen. Und teilweise schweben Charaktere an Kanten in der freien Luft herum. Zumindest läuft Risen 3 butterweich, flüssig und ohne nennenswerte Bugs.

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Risen 3: Titan Lords – Test-Fazit: Schön (und zu?) altmodisch
Wenn ich ganz ehrlich bin, dann war Gothic 2 mein erstes richtiges Rollenspiel. Und ich habe es geliebt: Die düstere Atmosphäre und den rauen Ton; die vielen Möglichkeiten, die offene Welt, die glaubwürdige Welt – all das hat mich damals in den Bann gezogen. Auch die Nachfolger haben mich immer wieder gefesselt. Aber heute ist nunmal 2014 – und wir haben Spiele wie The Witcher, Mass Effect oder Dragon Age gesehen. Risen 3 ist am Ende vom Tag ein vergrößertes, aufgehübschtes und etwas angepasstes Gothic 2 inklusive etwas Südsee-Flair, mit seinen ganzen Stärken und den Schwächen, die vor allem bei den Animationen, der Geschichte, der Figurenzeichnung und den Zwischensequenzen sowie der Inszenierung von Gesprächen liegen. Das macht immer noch Spaß. Auch das altbekannte “Nur noch eine Mission, nur noch da rein laufen, nur noch…” greift wieder. Die Welt ist glaubwürdig, die Atmosphäre gewohnt rau und auch das Kampfsystem und die Charakterentwicklung passt wieder. Außerdem ist die Musik klasse und die Optik stellenweise wunderschön und ansonsten – Gesichtsanimationen und Animationen ausgenommen – wirklich gut geworden. Aber: Es ist eben auch nicht wirklich neu und die Konkurrenz macht es teilweise deutlich besser, weil sie sich eben weiter entwickelt hat. Unterm Strich bleibt also ein Spiel, das angenehm altmodisch ist; bei dem wir aber nur zu gerne den Mut zu etwas mehr Risiko gesehen hätten.
Wertung für Traditionalisten: 8/10
Wertung: 7/10

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