Wolfenstein: The New Order – Review: Im Superspagat

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Wer Wolfenstein: The New Order spielt, wird sich teilweise fühlen wie ein Action-Held in einer Achterbahn, wo wirklich alles drin sein soll. Ein Haufen Entwickler-Veteranen schnappt sich die Wolfenstein-Lizenz, packt die mächtige “id Tech 5”-Engine hinzu und schraubt so lange herum, bis ein neuer Shooter auftaucht. Und der will wirklich alles sein: Drama und Action-Kracher, anspruchsvoll und doch leicht zu erlernen, brutal und humorvoll, übertrieben und ernsthaft. Das kann natürlich gut gehen – das muss es aber nicht zwingend. Und so lassen wir das Blut und die zerfetzten Überreste beseitigen und erzählen euch, was wir in Gestalt von B.J. Blazkowicz alles erlebt haben.

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Energiewaffe & Gemetzel

Fliegen und stürmen
1946: Die Alliierten versuchen eine Landung in Europa, um den bitterbösen General Totenkopf auszuschalten und so die unaufhaltsame Niederlage doch noch abzuwenden. Wer sich jetzt wundert, warum das in der Geschichtsstunde minimal anders rübergekommen ist, muss sich keine Sorgen machen: Wolfenstein schmeißt uns in eine alternative Geschichtsschreibung, in der die Nazis die Welt überrennen, Roboterhunde wüten und der Traum des Regimes der Bau von Maschinenmenschen ist. Spielerisch erkennt der geneigte Shooter-Fan auf den ersten Metern allerdings nur wenig Neues: Skripts inklusive abstürzender Flugzeuge, “Michael Bay”-Szenen und ein recht lineares Level begleiten uns erst im Anflug auf die Festung von General Totenkopf und dann in dieser, während wir Horden von Schergen über den Jordan schicken. Die Vorgänger – die sich durchweg mit okkulten Geschichten beschäftigt haben – muss man übrigens zum Verständnis der Geschichte nicht gespielt haben. Ziemlich viel Geballer und Normandy-Feeling später haben wir dummerweise versagt, fallen ins Koma und wachen erst 14 Jahre später in Polen auf, nachdem das Regime die ganze Welt besiegt und besetzt hat. Eine schöne Scheisse ist das also allemal.

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Aus allen Rohren feuern

Die neue alte Härte
Bereits auf dem Weg ins Koma haben wir allerdings einige Dinge kennengelernt, die das neue Wolfenstein anders und auch etwas anspruchsvoller als die versammelte aktuelle Shooter-Konkurrenz macht: Regenerative Lebensenergie gibt es zum Beispiel gar nicht – man muss Medipacks und Panzerungsteile aufklauben, um in den Gefechten nicht per Ladebildschirm an den letzten automatischen Checkpoint geschickt zu werden. Ebenfalls ungewohnt und gefühlt prähistorisch: Munition, Medipacks, Panzerung und Waffen hebt man auf, indem man eine Taste drückt – wer nicht ohne ausreichend blaue Bohnen dastehen oder blitzschnell draufgehen will, sollte besiegte Feinde um ihre Ausrüstung erleichtern und in jeden Winkel des Levels schauen. Dafür – und für Abschüsse, die oft mit verschiedenen Anforderungen daherkommen – gibt es übrigens ab und an ein paar kleine Verbesserungen für uns, die aber nie groß auffallen. Jedes einzelne Level bietet uns stellenweise mehrere Wege und etwas mehr Freiraum – und wer keine Karte findet und aufhebt, muss sich eben ohne klar gekennzeichneten Weg durch die Gegend bewegen. Eine Mini-Map fehlt dazu vollkommen. In verwinkelten Levels mit diversen Sackgassen, Ebenen und Mehr kann das schonmal zu Verwirrung führen, selbst wenn das Ziel per Druck auf die M-Taste auf der Übersichtskarte markiert angezeigt wird. Sammelgegenstände, Zeitungsaussschnitte und freischaltbare Musikstücke einer Band aus Liverpool mit dem Namen “Die Käfer” – wer weiß, wer gemeint ist? – verlocken einen dazu oft, sich etwas genauer umzusehen. Trotz Linearirtät wirken die Level detailliert und lebendig.

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Mitstreiter & Feind

Alles kaputt und blutig
Nach 14 Jahren im Koma werden wir zum Glück gerade in dem Moment fit, in dem die Regime-Soldaten alle Insassen und Ärzte der polnischen Klinik erledigen, in der wir die letzten Jahre im Wachkoma verbracht haben. Die eigenwillige Art und Weise, wie Zwischensequenzen und große Skripts um uns herum zu inszeniert werden, muss man allerdings nicht unbedingt mögen: So sehen wir erst metzelnde Regime-Soldaten aus der Ego-Sicht, ohne etwas machen zu dürfen. Dann dürfen wir endlich eine Taste drücken und das Spiel hüpft in eine filmische Zwischensequenz, in der wir unserem eigenen Charakter dabei zusehen können, wie er Dinge macht. Das kann man mögen und es hilft auch, die Geschichte voranzutreiben; ein Stück weit fühlt sich die Entscheidung allerdings nicht immer optimal an, weil man zu einem reinen Zuschauer degradiert wird. Der Gewaltgehalt ist dabei in den Zwischensequenzen durchweg hoch – und im Spiel wird die Sache für zartbesaitete Spieler nicht angenehmer: Schrotflinten lassen Feinde zerplatzen, Blut spritzt reichhaltig und wer einen Gegner mit einer Energiewaffe bearbeitet, sieht am Ende mehr unschöne Details als ihm lieb sein kann.

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Nicht die schönste Welt

Eine düstere Welt
Für unseren reaktivierten Helden heißt es in den nun folgenden 15 Leveln, nach und nach dem Regime gewaltig sonstwohin zu treten. Unser Weg führt uns ins besetzte London, direkt nach Berlin, auf die Mondbasis des Regimes, eine gigantische Brücke, auf ein U-Boot und in eine riesige Festung. Was die Entwickler aus dem Setting einer überrannten Welt im Jahr 1960 gemacht haben, ist schwer beeindruckend – die Atmosphäre ist ebenso der Wahnsinn wie das Level- und Gegnerdesign. Überwachung, Hinrichtungen, unendliche Massen an grauem Beton und viele Details zeichnen ein düsteres Bild; ein Besuch in einem Konzentrationslager gehört zu den ganz eindrücklichen und brutalen Szenen. Dazu sind die Charaktere wunderbar gelungen,  vielschichtiger und interessanter als in so manchem Rollenspiel: Die zwei Antagonisten General Totenkopf und Obersturmbannführer Engel sind nicht nur absolut wahnsinnig, sondern dazu auch noch bemerkenswert interessant gestaltet; die Mitglieder des Wiederstandes haben ihre eigenen Macken und Beziehungen und auch Blazkowicz ist mehr als nur der typische waffentragende Held, sondern hat mehr als eine düstere Monologzeile sowie eine ausgewachsene Beziehung. Im Hauptquartier des Widerstandes –  wohin man ein paar Mal kommt – kann man dazu Nebenmissionen erledigen, dem Treiben zuschauen und Geheimnisse und Mehr zu den Mitstreitern herausfinden. Für einen Shooter ist das um Welten mehr als nur das handelsübliche “gute Leute hauen böse Leute,” obwohl wir am Ende eben doch das Regime ausschalten wollen. Die einzige Entscheidung von uns im Spiel wirkt sich übrigens kaum auf das Spiel oder die Geschichte aus.

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Mondbasis (von Schurken) & Stinknormale Schurkenbasis

Schleichen, denken und dem Schlauch folgen
Wenn wir uns in eine Mission stürzen, dann wird überlegtes Vorgehen in den halb linearen Levels meist belohnt: An vielen Stellen können wir uns leise durchmeucheln – das ist nicht nur eine nette Abwechslung zu den wuchtigen Schusswechseln, sondern macht auch Sinn, wenn ein Kommandant anwesend ist. Der Grund: Die Offiziere können – sobald wir entdeckt werden – unendlich viel Verstärkung herbeirufen, bis wir sie endlich ausschalten. Das macht die Gefechte dann  trotz der oftmals recht dummen Gegner recht schwer. Auch sehr gut: Wer sich umsieht, findet neue Schleichwege; mit einem fast von Beginn an verfügbarem Schneidbrenner kann man Luftschächte und Ähnliches öffnen, was sowohl für das Schleichen als auch einige einfache Rätsel gut ist. Weniger gut ist die kleine Menge an Waffen, die wir zur Verfügung haben und zumindest immer einsetzen dürfen. Eine Pistole, ein Sturmgewehr, eine Schrotflinte, die Laserwumme, ein Messer und ein Scharfschützengewehr sind nicht viel – und wer auf den Gedanken gekommen ist uns, die Waffen nur über ein leicht ungenaues Kreismenü auswählen zu lassen, gehört direkt erschossen. Auch die Möglichkeit, zwei Waffen eines Typs gleichzeitig zu tragen, ist nur auf den ersten Blick cool: Meist treffsichere Feinde, das Fehlen regenerativer Lebensenergie und Munitionsknappheit sorgen dafür, dass sich die ultimative Rambo-Pose quasi nie lohnt. Der alternative Feuermodus für die Waffen bringt zumindest etwas mehr Abwechslung in die Gefechte.

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Zeigt Zähne & Ballert

Monster und Sammelbares
Wer übrigens glaubt, dass man in Wolfenstein: The New Order locker durchlaufen und alles umschießen kann, hat sich offiziell geschnitten. Zwar sind die Feinde oft nicht die Hellsten; durch die schiere Übermacht wird es oftmals schwerer als erwartet. Noch schlimmer sind die großen und fetteren Soldaten – speziell die Wachroboter oder schwer gepanzerte Gegner sind eine echte Plage. Die kann man zwar mit der Laserwaffe schnell zerlegen – die braucht aber Saft, den man nur aus reichhaltig verteilten Energiestationen bekommt, an denen man dann kurz komplett hilflos herumsteht. Da bereits ein fetter gepanzerter Typ mit Schrotflinte locker zwei Magazinladungen der nach und nach immer weiter aufgerüsteten Waffe braucht, steht man quasi dauerhaft beim  Nachladen herum. Wer genügend aufpasst, hat zumindest einige nützliche Upgrades – ohne die ist alles noch schwerer. Speziell gegen Ende werden die Kämpfe aber auch mit Upgrades einige Male schon fast  nervig. Gefechte gegen Bossgegner sind dafür oft schon wieder zu einfach, da die meist schwerfällig und recht doof sind.

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Graue Basis & Andere graue Basis

Die Technik macht beim Spagat mit
Fangen wir den Technikblock mit ein exakt zwei Worten an: 42 GigaByte. So groß ist der Download, den Wolfenstein: The New Order auf dem PC – bei entsprechender Internetverbindung – quälend langsam auf die Festplatte schaufelt. Und uns ist es egal, wer verantwortlich ist – Megatextures, böse Entwickler, Nazischergen oder sonstwas fallen uns als Schuldige ein: Das ist trotzdem einfach viel zu viel und wird durch die Optik nicht gerechtfertigt. Selbst Grafikmonster wie Battlefield 4 oder Crysis 3 geben sich mit netten 20 oder 25 GigaByte zufrieden und sehen dabei deutlich besser aus. Das heißt übrigens nicht, dass Wolfenstein nicht gut aussieht – schicke Lichteffekte treffen auf meist recht detaillierte Umgebungen und im Kugelhagel inklusive Blutfontänen sehen die meisten Stellen wirklich schön aus. Das alte Problem der bisher nur in Rage eingesetzten Engine gibt es allerdings trotzdem wieder: Da statt vieler kleiner Texturen einige riesengroße Texturen verwendet werden und der Grafikspeicher nicht groß genug ist, werden bei schnellen Drehungen die Texturen sichtbar nachgeladen. Trotzdem: Meist sieht Wolfenstein gut und nett aus. Dazu kommt ein cooler Soundtrack – alles wäre so schön, wenn die Waffen etwas mehr krachen, die Sound-Abmischung besser wäre und es Kantenglättung gäbe. Trotzdem: Technisch zeigt sich Wolfenstein durchweg von einer angenehmen Seite.

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Auch Gegner müssen etwas zu tun haben

Wolfenstein: The New Order – Fazit: Gelungener Spagat
Fangen wir mit dem offensichtlichen Teil an: Wolfenstein: The New Order ist beileibe nicht perfekt. Dazu leistet sich die Technik zu viele Schnitzer; dazu sind einige Level-Stellen zu nervig und die KI glänzt zu gerne mit akuter Dummheit, was gegen Ende durch einige nervig große Feindmassen ausgeglichen wird. Dafür glänzt das neue Wolfenstein mit einer toll präsentierten bedrückenden Zukunftsvision, wirklich großartigen Charakteren, durchweg spaßigen Schusswechseln, viel Abwechslung und dieser tollen Mischung aus Action-Film, ernsten Themen und Quentin Tarantino. Man mag – oder hasst… – die Charaktere eben wirklich; die Welt wirkt glaubwürdig genug und das altbekannte Feeling der Marke “Been here, done this…” kommt auch nie auf, weil uns nach einem Schusswechsel eben wieder eine neue Überraschung bevorsteht. Wir schwimmen, tauchen, rätseln, schleichen oder flüchten; das Gameplay bietet uns genug Freiräume und viel Abwechslung. Dazu lassen die ganzen Details in der Spielewelt und Zwischenseqeunzen die ohnehin bedrückende Welt – ebenso wie Hinweise aus Zeitungsausschnitten – noch realer und bedrohlicher wirken. Am Ende wirkt alles eben wie aus einem Guss – nichts kommt überflüssig, unpassend oder unpassend daher. Da stören auch diverse kleinere Fehler und Probleme nicht wirklich. Wolfenstein: The New Order ist ein durchweg gelungener und spielenswerter Singleplayer-Shooter, der dazu locker zehn oder fünfzehn Stunden Spielzeit bietet.
8/10

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